Dazu jetzt live aus Berlin…

Vor der Bundestagswahl war ja schon absehbar, dass der Wahlkampf ziemlich langweilig werden würde – Wahlwerbespots, Debatten, Diskussionen, Versprechen, Enthüllungen, vollplakatierte Städte… der ganze Quatsch, der zu unserer politischen Meinungsbildung beitragen soll und dem Sommerschlussverkauf in Sachen Vorhersehbarkeit und Versprechungen einigermaßen ebenbürtig ist.
Und dann erst das Drama nach der Wahl, wenn die ganze Journaille erläutern darf, was sie alles korrekt vorhergesehen hat und welchen Weg die Koalitionsverhandlungen nehmen, und und und…

In den letzten Tagen nun, als die Koalitionsverhandlungen an Fahrt aufnahmen, wurde das jeden Abend in der Tagesschau so anmoderiert (beinahe wortgleich von mindestens drei verschiedenen Moderatoren):

Zu den Koalitionsverhandlungen jetzt live aus Berlin Ulrich Deppendorf.

Mit einer Betonung auf „live aus Berlin“ und einer künstlerischen Pause vor dem Namen des Protagonisten.

Am ersten Tag fragte ich mich, wozu das eigentlich aus Berlin übertragen werden muss.

Am zweiten Tag fragte ich mich, wozu das eigentlich live übertragen werden muss.

Am dritten Tag fragte ich mich, warum der arme Herr Deppendorf eigentlich immer draußen in der Kälte an einem fest montierten Mikrofon steht, wo die ARD doch bestimmt auch einen mollig warmen Ü-Wagen ankarren könnte. Von der Verfügbarkeit des ebenfalls beheizten Hauptstadtstudios ganz zu schweigen.

Irgendwie hatte ich die ganze Zeit das Gefühl, dass es hier gar nicht um die Koalitionsverhandlungen ging. Nach der Einigung in der Innen- und Sicherheitspolitik etwa verkündete Herr Deppendorf in einem Nebensatz, dass Kinderpornos nun gelöscht würden. Für ein Thema mit der bislang erfolgreichsten Online-Petition beim deutschen Bundestag fand ich das erstaunlich wenig Information – zumal es ja bei all der Rangelei um das Zugangserschwerungsgesetzt nicht so ist, dass das Bundeskriminalamt nicht auch heute schon versuchen würde, kinderpornographische Angebote aus dem Netz zu löschen.

Irgendwie hatte ich die ganze Zeit das Gefühl, dass vor allem der live-Bericht aus Berlin von Ulrich Deppendorf die eigentlich relevante Information war, die uns die Tagesschau mitteilen musste.

Beim Durchstöbern von Stefan Niggemeiers Archiv musste ich deshalb gerade sehr schmunzeln, dass er im Juni 2007 einen Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung so einleitete:

Man weiß ja nicht, wie das so abläuft, in ARD-Hierarchien. Ob Ulrich Deppendorf, als er vor fünf Wochen wieder Chef der Hauptstadtstudios wurde, gleich am ersten Tag in der Konferenz gesagt hat: Leute, dass eins schon mal klar ist, die Einschätzungen aus Heiligendamm, die mache ich. […]

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