Mein Gott, Mann, das ist ja finsterste Steinzeit!

Filmstudios, Musiklabels und Urheberrechtsinhaber beklagen seit Jahren die ausufernden illegalen Downloads. Zigtausende Dateitauscher wurden für ihre ungesetzlichen Aktivitäten schon abgemahnt. In den gerade einmal zwei Verfahren, die in den USA tatsächlich vor Gericht verhandelt wurden, stehen einer Hausfrau und einem Stundenten Strafen von 1,9 Millionen bzw. 675.000 Dollar in Aussicht. Was haben die betroffenen Industriezweige in den vergangenen 10 Jahren gemacht, damit ihre Angebote attraktiver sind als das Filesharing? Ziemlich viel in der Nase gebohrt, würde ich sagen.

2009 ist noch immer Steinzeit. Weltweiten DVD-Handel verhindern die Regionalcodes – US-DVDs lassen sich in europäischen Playern nicht abspielen und umgekehrt. Beim hochauflösenden Nachfolgeformat Blu-Ray ist es genau das gleiche.

Einfach mal eine DVD auf den Rechner kopieren, geht nicht ganz einfach, ist aber wohl immer noch verboten, obwohl der Kopierschutz CSS längst ausgehebelt ist. Der Kopierschutz der Blu-Ray hält da deutlich besser stand – und verbrät massenhaft klimakillenden Strom, denn der Datensalat muss im Rechner entschlüsselt, dekomprimiert, dekodiert und dann vor dem Weg in den Monitor wieder neu verschlüsselt werden, bevor im Monitor die finale Entschlüsselung die bunten Bildpunkte hervorzaubert.

Für diese Entmachtung darf der Kunde Konsumsklave teures Geld bezahlen – und darf vor allem erstmal lange warten. Schließlich sind die Kinos mit der exklusiven Erstausstrahlung der Filme dran, bei den Serien sind es die auftraggebenden TV-Sender. Danach kommt der Verleih-Markt, der auch nochmal eine ordentliche Schonfrist eingeräumt bekommt. Und dann, irgendwann, wenn in USA schon der Nachfolger läuft oder die nächste Staffel, dann dürfen wir in Deutschland vielleicht schon unser wohl verdientes Geld in die mit pompöser Werbung in den Markt gedrückten Scheiben investieren, deren Extras meistens so langweilig und schlecht sind, dass man besser drauf verzichtet hätte.

Ist die neue Scheibe schließlich im Player, kann es zum Glück endlich losgehen – nachdem die Logos jedes irgendwie an der Produktion beteiligten Studios ganz toll animiert abgespielt wurden und man umfangreich darüber unterrichtet wurde, dass es bei vorläufiger Todesstrafenandrohung verboten ist, die frisch erworbene DVD oder BluRay zu kopieren, öffentlich aufzuführen, mit Freunden zu teilen oder sonstwas zu machen, was irgendwelche Medienanwälte halt gerade illegal finden.

Immerhin muss der Unterhaltungsindustrie irgendwann in den Sinn gekommen sein, dass man solche digitalen Daten ja auch übers Internet in den Rechner kriegen kann. Aber natürlich nicht einfach so, nein nein, ein ordentlicher Kopierschutz muss schon sein. Also gab es Musik und gibt es Filme nur in ausgewählten Formaten, die garantiert unter so dubiosen Systemen wie diesem Linux nicht abgespielt werden konnten. Überhaupt ist es doch am besten, wenn der Player vor dem Abspielen nochmal kurz Kontakt mit dem Verkäufer aufnimmt und die Lizenz prüft. In kopierschutztechnischer Hinsicht durchaus nachvollziehbar. Blöderweise gehen auch die größten Firmen mal pleite, und dann ist meine schöne Filmsammlung nur noch kopiergeschützter Datenmüll.

Auch bei der Vielfalt des Angebots tun sich Abgründe auf. „The Great Escape“? Gibts vielleicht bei der Konkurrenz. „House“ in HD bei Apple zum Download? Klar, nur die neueste und die erste Staffel fehlen. War wohl grad kein Platz mehr im Regal auf dem Server. Oder die Lizenz liegt bei einem Studio, mit dem der Händler keinen Vertrag hat. Sollte man als Kunde nicht so eng sehen. Ob man sich nicht stattdessen für einen der Top 100 der schlechtesten Blockbuster aller Zeiten begeistern kann? Die sind gerade im Angebot und kosten deswegen 20% weniger als der um 250% überteuerte Normalpreis.

Das ist in der Tat finsterste Steinzeit. Hätte es das heutige Angebot vor 10 Jahren gegeben – meine Prognose für das Jahr 2009 wäre verhalten optmistisch ausgefallen. Aber was man uns heute serviert, ist eine völlige und umfassende Katastrophe, das Armutszeugnis einer ewig gestrigen Industrie. Kulturflatrate? Bäh, Pfui, hinfort mit diesem Lästerkram! Bevor wir drüber nachdenken, ob man mit neuen Modellen Geld verdienen kann, sperren wir lieber jedem ertappten hinreichend verdächtigen Filesharer für ein Jahr den Internetzugang.

Für solche Produkte und unter diesen Bedingungen soll ich ernsthaft Geld ausgeben?

Die Alternative

Die Alternative zu diesem Debakel? Filesharing. Das zeigt seit Jahren, wie es wesentlich komfortabler geht. Zunächst einmal sind die Dateien schnell verfügbar. Drei Wochen nach Kinostart? Pah! Zwei Tage vor dem Kinostart! TV-Folgen brauchen immerhin schon einen Tag, bis sie gut verfügbar sind – weltweit. Je aktueller der Download, desto besser die Datenübertragungsraten. Eine Folge Lost in 10 Minuten runtergeladen – schon erlebt. Dass alles von der lästigen Werbung befreit wurde, versteht sich von selbst. DVD-Intros und „Raubkopierer sind Wehrkraftzersetzer“-Hinweise gibt es in der wunderbaren Welt von Kazaa, eMule, Bittorrent und Co nicht. Achja, und die Kosten? 30 Euro pro Monat aufwärts, aber leider nicht für die Inhalteanbieter, sondern für die ISPs.

Glauben die Inhalteanbieter wirklich, sie könnten mit steinzeitlichen Geschäftsmodellen, rigidem Kopierschutz und umfassenden Klagekampagnen den Markt der illegalen Downloads in den Griff kriegen? Mein Beileid.

Dabei liegen doch die Nachteile der Tauschbörsen auf der Hand. Die Benennung der Dateien ist ein purer Graus. Ich will nicht wissen, wer die Folge Eureka mit welchem Tool in welcher Datenrate gerippt hat – ich will wissen, wie die verdammte Folge heißt. Schonmal in der Piratenbucht nach „House“ gesucht? Teufel noch eins, die alten Folgen sind schwieriger zu finden als Medienkompetenz in der CDU. Die Downloadraten sind – bestenfalls – variabel. Alles, was aus der kurzfristigen Popularität rausgefallen ist, dümpelt mit ein paar jämmerlichen Kilobyte pro Sekunde vor sich hin, da hätte es fast ein ISDN-Anschluss getan. Und wo „24“ draufsteht, muss nicht unbedingt „24“ drin sein. Einige Medienunternehmen sollen schon selbst Fakes in die Tauschbörsen geflutet haben, um das Downloadvergnügen zu minimieren. Die permanente Gefahr einer teuren Abmahnung kommt dann als Krönung oben drauf.

Wenn ich mir was wünschen dürfte

Ein kleines Wunschkonzert gefällig? Kein Kopierschutz. Das ist die erste und wichtigste Bedingung. Den Medienbonzen dieser Welt muss man den Gedanken wohl mit dem Hammer in den Kopf pflanzen, weil sie es sonst nicht kapieren: Kein Kopierschutz! Ich gebe doch nicht ernsthaft Geld für eine zeitlich unbefristete Lizenz aus, wenn technische Maßnahmen genau das Gegenteil bewirken und ich nur hoffen kann, dass der Laden nicht den Bach runtergeht und die Internetverbindung nicht gerade dann gestört ist, wenn ich mich bis zum Staffelfinale vorgearbeitet habe.

Darf’s ein bisschen mehr sein? Jap. I want it, and I want it now. Sehen wir es realistisch: Das Modell, nach dem TV-Sender auf der ganzen Welt US-amerikanische Serien für die exklusive Ausstrahlung in ihrem Land einkaufen, ist nicht zukunftsfähig. Es gibt da dummerweise dieses Interdingensda und eine Duröhre, wo man schon heute vergleichsweise legal alle möglichen (und auch unmöglichen) Sachen anschauen kann. Ob RTL, SAT.1 und Co mit ihren atemberaubend schlechten Eigenproduktionen überlebensfähig sind, sei mal dahingestellt. Ob deren Untergang ein Verlust wäre, sei ebenfalls dahingestellt. Immerhin eine wichtige Aufgabe übernehmen sie, nämlich die Synchronisation. Ich kenne erstaunlich viele Leute, die nur die synchronisierten Fassungen schauen. Die sind natürlich festgenagelt und an die deutschen Sender gebunden. Der lukrative Markt der deutschen Erstausstrahlung ist also vielleicht doch nicht von der Vernichtung bedroht.

Aber selbst wenn das Lizenzgeschäft zu Grunde ginge: Den Film- und TV-Studios kann es doch egal sein, ob sie ihre Produktionen teuer an Studios auf der ganzen Welt weiterverkaufen, die sich durch die Werbung und damit letztlich durch die Konsumenten finanzieren – oder ob die Studios ihre Produkt einfach direkt an die Konsumenten verticken. Hauptsache, sie verdienen Geld. Und Geld verdienen sie lieber heute als morgen. Ob eine Produktion potential hat, interessiert schließlich nicht. Wer Star Trek nach drei Jahren absetzt, Firefly nach 13 Folgen, Farscape nach vier Staffeln und Futurama nach fünf, wer dafür die X-Akten ohne David Duchovny und ohne Chris Carter zu Tode reanimiert, der schert sich einen Dreck um Potential und Qualität – der kriegt die Taschen nicht schnell genug voll genug.

Also, Studiobosse, spannt die Lauscher  auf, denn diese Idee bringt euch pures Bargeld in die Taschen: Verkauft eure Produkte direkt an die Konsumenten. Und zwar weltweit. Ich würde zugreifen. Lost allerspätestens eine Woche nach der Erstausstrahlung im TV, das wäre mal ein Angebot. HDTV darf es übrigens ruhig sein, wenn ich noch einen Wunsch äußern darf. Die Downloadraten sollten bestimmte Minima nicht unterschreiten (500KB/s sollte ja wohl drin sein). Optionale Untertitel wären super. Achja. Ich will mich nicht in 25 verschiedenen Onlineshops anmelden oder beim Hersteller selbst – ich will den Kram aus einer einzigen Quelle beziehen. Die muss gut sortiert sein, übersichtlich noch dazu, eine fehlertolerante Suchfunktion ist natürlich pflicht.

Dafür würde ich Geld ausgeben. Ernsthaft.

Wie wäre es mit einem abgestuften Preismodell? Je älter die Inhalte sind, desto günstiger werden sie. Wer auf HD verzichtet und mit kleinerer Auflösung vorlieb nimmt, kommt ebenfalls günstig davon.
Der Premium-Download: Wenige Tage nach Erstausstrahlung, Full HD, bis zu 2MBit/s, Kosten: 5 Dollar pro Folge. Ich gehe jede Wette ein, dass allein Lost-Junkies die Downloadserver überlasten werden.
Der Spar-Download, die virtuelle Economy-Class: Ein Monat nach Erstausstrahlung, normale Auflösung (HD kostet 50% extra), 500KB/s: 1,50 Dollar.
Der Sammel-Download: Die komplette Staffel, frühestens eine Woche nach Erstausstrahlung der letzten Folge: 1 Dollar pro Folge.

Das wäre ein Angebot.

Noch eine Nummer komfortabler: Nachdem die Studios auf der ganzen Welt ihre lokalisierte Fassung ausgestrahlt haben, machen sie die Folgen im selben Online-Shop verfügbar, wo bereits die Originale zu finden waren. Die Lizenznehmer werden an jedem Download der lokalisierten Fassung beteiligt – hey, da würden sogar RTL und SAT.1 drüber nachdenken, und als Kunde habe ich eine Anlaufstelle und nicht Dutzende oder Hunderte.

Die Erkenntnis

Wenn die Unterhaltungsindustrie den Finger aus dem Allerwertesten nimmt, die Kunden nicht mehr mit Hasstiraden und Klagekampagnen überzieht und ein Geschäftsmodell für das 21. Jahrhundert entwickelt, dann wird sich das Problem der Tauschbörsen von allein erledigen. Aussterben werden die nicht, dafür ist das kostenlose Angebot zu verlockend und das Gefühl, wenigstens einmal ein moderner Pirat zu sein, vielleicht auch ein wenig zu berauschend. Aber der Umfang wird massiv abnehmen, sobald die legalen Angbote die bessere Alternative sind. Und wenn wir am Ende auch noch die Kulturflatrate einführen, dann kann wirklich niemand mehr klagen.

Bis dahin allerdings, geehrte Unterhaltungsindustrie mit deinen ganzen Interessenverbänden, Anwälten und Hohlköpfen, ist weiter arschlecken angesagt.

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