Täterschutz

Es geht mal wieder um das Zugangserschwerungsgesetz, also das Errichten von nationalen Internetblockaden gegen kinderpornographische Angebote. Eines der Hauptargumente für diese Sperren lautet: „Es gibt Länder, in denen entweder keine Gesetze gegen die Verbreitung von Kinderpornographie bestehen oder in denen die bestehenden Gesetze nicht durchgesetzt werden“. Das sind die sogenannten Fail-States.

Der Präsident des Bundeskriminalamtes Jörg Zierke hatte in einer Diskussion dazu gesagt, ihm seien 20 bis 30 Länder bekannt, auf die das zutrifft. Benennen wollte er sie freilich nicht. Einige Zeit später äußerte Familienministerin von der Leyen auf abgeordnetenwatch.de etwa das gleiche (gefunden via netzpolitik.org):

Ich bitte um Verständnis dafür, dass ich an dieser Stelle nicht einzelne Länder herausgreifen und sie öffentlich an den Pranger stellen möchte. Das wäre hier auch nicht der richtige Ort. Die existierenden Probleme müssen auf internationaler Ebene im Dialog gelöst werden.

Etwas diffus war beim Zugangserschwerungsgesetz immer die Rede davon, es sei nur eine von vielen Maßnahmen, um die Verbreitung von Kinderpornographie einzudämmen. Um welche anderen Maßnahmen es sich handelt, bleibt offen. Warum die Fail-States nicht benannt werden, bleibt genauso offen. Und dass diese Staaten wirklich so bekannt sind, halte ich nicht gerade für erwiesen – es sei an den peinlichen Fauxpas mit Indien erinnert.

Wie kann ich mir also den internationalen Dialog vorstellen, von dem die Ministerin da spricht? Heißt es dann irgendwann „Kanzlerin Merkel sprach mit Staatschef XYZ auch über die Verbreitung von Kinderpornographie“, also die übliche „Ja ja heißt leck mich am Arsch“-Diplomatie?
„In der Frage konnten wir natürlich heute keine endgültige Einigung erzielen, aber wir sind gemeinsam der Auffassung, einen guten Weg eingeschlagen zu haben…“?

Jetzt mal Butter bei die Fische: Es gibt Staaten, denen es scheißegal ist, wenn von dort aus der schwere sexuelle Missbrauch von Kindern weltweit verbreitet wird, und unsere Familienministerin will sie nicht an den Pranger stellen?

Aber hallo, ich schon! Ich will wissen, um welche Staaten es sich handelt, damit ich sie boykottieren kann. Ich möchte dort keinen Urlaub machen, ich möchte keine Produkte aus diesen Ländern erwerben, ich will andere zum gleichen Boykott anstiften, will darüber bloggen, diskutieren und debattieren und diese Staaten so lange an den Pranger stellen, bis sie sich um das Problem kümmern. Ich will durch mein Wahlverhalten klarmachen, dass sich Politiker für internationale Sanktionen stark machen sollen. Ich will, dass EU, UN, UNICEF und jede andere wichtige Organisation so lange Druck machen, bis nicht mal mehr die hinterletzte Bananenrepublik die Verbreitung von Kinderpornographie duldet.

Kurzum: Ich will, dass es keine Fail-States gibt, und das will ich natürlich so schnell wie möglich.

Nur… dafür kann ich mich nicht einsetzen. Denn ich kenne die Staaten ja nicht. Vielleicht kaufe ich Kaffee aus diesen Ländern, vielleicht wurde mein Computer dort zusammengebaut oder mein Onkel macht dort regelmäßig Urlaub, ich weiß es nicht. Ich kann sie nicht boykottieren, kann keine Front aufbauen und auch sonst nichts gegen sie tun. Weil die Familienministerin noch nicht den richtigen Ort gefunden hat, einzelne Länder herauszugreifen.

Das nenne ich Täterschutz.

[Update 2009-10-22: Typo gefixed]

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