Journalistische Redundanz – und andere Kunstfehler

Das law blog verlinkt einen Artikel bei stern.de über einen Nötigungsfall. Ich finde es ja immer gut, wenn man als Leser ausreichend Gelegenheit hat, die Inhalte auch wirklich wahrzunehmen. Aber hier wurde es vielleicht doch ein wenig übertrieben.

Anreißtext:

Freispruch für einen Ex-„Bild“-Reporter im Berufungsprozess um das Sex-Video von Schauspieler Ottfried Fischer: Das Landgericht München sah den Tatvorwurf der Nötigung und Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch unbefugte Bildaufnahmen als nicht erfüllt an.

Der erste Absatz beginnt so:

Freispruch für einen Ex-„Bild“-Reporter im Berufungsprozess um das Sex-Video von Schauspieler Ottfried Fischer: Das Landgericht München sah den Tatvorwurf der Nötigung und Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch unbefugte Bildaufnahmen als nicht erfüllt an.

Wenn der Anreißtext das Interesse am Artikel wecken soll, welchen Zweck erfüllt dann in diesem Beispiel der erste Absatz? Ein Blick auf den Rest des Artikels führt zu der Annahme: das kann nur als Abschreckung gemeint sein.

Der erste Absatz endet so:

Das Video zeigt Fischer beim Sex mit zwei Prostituierten.

Der vorletzte Absatz endet so:

Das heimlich gedrehte Video zeigt Fischer beim Sex mit zwei Prostituierten.

Ich nehme an, das wurde nur wiederholt, falls es die Leser in den dazwischenliegenden dreieinhalb Absätzen vergessen haben sollten, worum es in dem Verfahren eigentlich ging.

Einen kleinen Rundflug durch das Rechts-System unternimmt der Artikel dann eher nach Instrumentenflugregeln. Die folgenden Schnipsel stehen jeweils in unterschiedlichen Absätzen:

Der Journalist war in erster Instanz zu 14 400 (!) Euro Geldstrafe verurteilt worden.

Die Staatsanwaltschaft kündigte umgehend Revision an.

Der Reporter war in zweiter Instanz angeklagt, den Schauspieler mit einem Sex-Video zu einem Interview genötigt zu haben.

Na, in welcher Instanz hat nun die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt? Wenn wir die Wikipedia befragen, kann die Revision wohl nur in zweiter Instanz eingelegt werden. Also muss sich der Text auf den Ausgang des aktuellen Verfahrens beziehen. So, wie es im Artikel steht, hätte das aber genauso gut ein Rückblick auf die erste Instanz gewesen sein können.

Aber keine Sorge, die Konfusion geht noch weiter.

„Eine Nötigung sehen wir ganz klar nicht“, sagte Hemmerich zur Begründung des Freispruchs im Landgericht.

Falls ihr euch jetzt fragt, wer „Hemmerich“ ist: Ich auch. Er oder sie wurde nämlich im Artikel vorher nicht erwähnt. Später aber auch nicht.

Immerhin gibt es noch ein paar Hintergründe zu dem Fall:

„Herr Fischer ist mit Sicherheit das Opfer, aber nicht des Herrn S. – sondern der Umstände und vielleicht auch seiner Agentin“, sagte die Richterin. Die Agentin hatte das Interview zwischen Fischer („Der Bulle von Tölz“) und dem Reporter vermittelt. Der Journalist hatte das Video für ein sogenanntes Info-Honorar erhalten.

Falls ihr euch jetzt fragt, wer „Herr S.“ ist: Ich auch. Muss wohl der angeklagte Journalist sein.

Aber das ist ja nicht das Highlight. Das Highlight ist: „Der Journalist hatte das Video für ein sogenanntes Info-Honorar erhalten.“ Äh. Wie meinen? Der Journalist hat das Fischer-Sex-Video von Fischers Agentin erhalten? Gegen ein sogenanntes Info-Honorar? Ernsthaft? Und warum steht dann nicht die Agentin vor Gericht? Und wie ist die überhaupt an das Video gekommen? Wollte sich Fischer auf seine alten Tage noch als Porno-König bewerben und hat seiner Agentin deshalb ein Sex-Video in die Hand gedrückt, das sie dann dummerweise einem Journalisten gegeben hat? WTF? Oder war doch alles ganz anders? Nichts genaues weiß man nicht…

Scheinbar versöhnliches gibt es zum Abschluss:

Verteidiger Spyros Aroukatos äußerte sich am Montag zufrieden: „Das Urteil ist beeindruckend – und zwar für die Pressefreiheit.“

Falls ihr euch jetzt fragt, wessen Verteidiger Spyros Aroukatos ist: Ich auch. Ich habe eine Theorie, dass es wohl nicht Fischers Verteidiger sein wird. Aber mehr als eine Theorie ist es nicht.

Ich weiß ja nicht, wie ihr das seht. Aber ich denke, wer auch immer diesen Bockmist verzapft hat, sollte echt froh sein, dass sein/ihr Name nicht bei dem Artikel dabeisteht.

Witzigerweise fiel mir erst am Ende des Schreibens ein, dass Stefan Niggemeier erst kürzlich stern.de seziert hat. Der Kritik kann ich mich nur von ganzem Herzen anschließen.

Nachtrag vom 28. Mai: Thomas Stadler hat zum gleichen Fall Eine Anmerkung zum Thema Qualitätsjournalismus verfasst, bezieht sich allerdings auf einen Beitrag der (gedruckten) Süddeutschen Zeitung. Freundlicherweise hat er auch noch einen Link zu einer AFP-Meldung, in der sich der Fall wenigstens erheblich klarer darstellt als bei stern.de.

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2 Kommentare »

 
  • 1
    Observer says:

    Sorry, dieses Presse-Bashing ging in’s Auge.
    Der Text mag etwas knapp gehalten und ungeschickt aufgebaut sein – zu solchen (angeblichen Missverständnissen) gibt er aber keinen Anlass. Dass Beste ist die Frage „wessen Verteidiger“ in einem Strafprozess gemeint ist. Preisfrage! Vorschläge:
    a) der des Richters
    b) der des Staatsanwalts
    c) der des Nebenklägers (Fischer)
    d) der des Angeklagten?
    Die Antwort findet man natürlich ohne Jura-Studium nicht heraus.
    (Als kleiner Tip: nur zwei der vier genannten Personen haben einen Anwalt, einen davon nennt man aus unerfindlichen Gründen „Verteidiger“.)

  • 2
    Trittbretttreter says:

    Sorry, die Kritik ging ins Auge. Dass mir ein (möglicher) Fehler unterlaufen ist, ändert schließlich nichts daran, dass der Artikel bei stern.de einfach schlecht ist.

    Und es würde mich auch nicht wundern, wenn Spyros Aroukatos zwar Strafverteidiger ist, aber nicht der des in diesem Fall angeklagten Herrn S., sondern einfach einer, der beim Journalisten in der Kurzwahlliste steht und ein griffiges Statement parat hatte.

    Ich bleibe dabei, dass die Formulierung im stern.de-Artikel ziemlich unglücklich ist. Einerseits mit Redundanzen um sich zu werfen und andererseits darauf bauen, dass die Leser intuitiv den Unterschied zwischen Verteidiger und Anwalt erkennen, das passt nicht zusammen. Der Artikel liest sich eher, als hätte man die Texte eines Juristen und eines Boulevard-Journalisten durch den Mixer gejagt und das Ergebnis ganz ohne Lektorat veröffentlicht.

 

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